Vor etwa 20 Jahren bin ich vergewaltigt worden.
Ich war auf der Suche nach einer Studenten-WG und habe mich mit einem jungen Mann getroffen, der sagte, er hätte in seiner WG ein Zimmer frei.
Wir sind zum Kennenlernen (das war schon komisch genug, wenn ich jetzt darüber nachdenke) etwas trinken gegangen. Da ich ihn nicht kannte, habe ich ein Glas Cola bestellt.
Wie er es gemacht hat, keine Ahnung, jedenfalls muß er mir in diese Cola etwas hineingetan haben, das mich völlig willenlos machte. Ich wollte dann nach Hause, weil es mir nicht gut ging; er hat mich nach Hause gebracht und dort vergewaltigt. Ich konnte ihm zwar sagen, daß ich das nicht wollte, konnte mich aber nicht wehren. Ich fühlte mich als ob ich einen Meter über dem Boden schwebte, habe alles noch genau vor Augen:
Er ging dann. Die Wirkung dessen, was in meinem Getränk gewesen sein muß, hat lange angedauert. So konnte ich auch als er am nächsten Tag plötzlich in meiner Wohnung stand (hatte er den Schlüssel mitgenommen? Ich habe keine Ahnung) nichts anders tun, als das Ganze nochmals über mich ergehen zu lassen.
Ich erinnere mich, daß ich auf dem Bett lag und fror, aber nicht in der Lage war, mich zuzudecken, obwohl die Decke neben mir lag. Er ging schnurstracks in die Küche und briet sich ein paar Eier, die er dann stehend in der Schlafzimmertür aß.
Das ist so dreist!
Ich hatte das ganz gut verarbeitet, verdrängt, was auch immer. Ab und an kamen kleine Momente, da ich daran dachte, aber die konnte ich immer gut wegstecken. Ich habe NIE mit irgendjemandem darüber geredet.
Bis letzte Woche.
Da hat mir mein Partner erzählt, daß er vor über 30 Jahren mal wegen Vergewaltigung verurteilt worden war und eingesessen hat. Er war damals noch minderjährig und brauchte nicht lange zu sitzen; war selbst in einem Kinderheim lange Zeit Opfer sexuellen Mißbrauchs gewesen und hatte wohl ein gestörtes Verhältnis zu seiner eigenen Sexualität und zur Sexualität im allgemeinen. Naja, er erzählte mir viele Details und alles sprudelte zum erstenmal seit über 30 Jahren aus ihm heraus. Seine größte Sorge war, daß ich ihn nicht mehr wollen könnte. Für mich kein Thema, ich kenne den Mann so wie er heute ist und sehe keinen Grund, ihn zu verlassen.
Er hat seit einer Woche Kontakt zu seiner ersten großen Liebe, diesen Kontakt haben wir gemeinsam gesucht (klingt eigenartig, aber ist schon okay). Sie war zu der Zeit seine Freundin und ist es auch noch einige Zeit geblieben, nachdem er aus der Haft entlassen wurde. Ich habe auch sehr viel Kontakt mit ihr, ihr aber nichts über meine eigene Last erzählt. Sie selbst ist auch fast 30 Jahre lang allein mit ihren Sorgen herumgelaufen, bevor sie sie vor einem Jahr ihrem jetzigen Partner erzählt hat.
Aber mein Problem ist jetzt, daß mein Partner dabei ist, seine Vergangenheit aufzuarbeiten (was ich sehr gut und sehr wichtig finde) und dabei auf mich zählen möchte (und soll), und nun kommen bei mir all diese grausigen Erinnerungen hoch. Während er erzählte, bin ich sprachlos in Tränen ausgebrochen; er dachte, seinetwegen. Erst als er mit Erzählen fertig war, habe ich ihm erzählt, daß ich vor vielen Jahren vergewaltigt worden bin und unter welchen Umständen.
Seitdem läßt uns beide die ganze Thematik nicht mehr los. Ich kann nicht mehr schlafen, nicht mehr essen, an nichts anderes mehr denken, sitze im Büro und starre auf den Bildschirm ohne eine Ahnung davon, was ich da machen sollte. Zu Hause fällt es mir sehr schwer, mich auf die Kinder zu konzentrieren (3, im Grundschulalter) und den Haushalt zu bewältigen. Ich kann keinen klaren Gedanken mehr fassen.
Wer kann mir Tipps geben, wie ich mich selbst und meinen lieben Mann am Schopf aus dem Sand ziehen kann?
Seit 6 Wochen steht ein Termin bei einer "neuen" Gynäkologin fest, den ich morgen habe, da ich unter Scheidenkrämpfen leide. Soll ich der die ganze Geschichte auftischen? Was habe ich dann zu erwarten? Vielleicht sollte ich mal mit einem Psychologen/ einer Psychologin darüber sprechen, aber macht es Sinn, das allein zu tun, oder sollten mein Mann und ich das gemeinsam anpacken? Oh Mann, hoffe, Ihr habt ein paar hilfreiche Ideen für mich.
Angezeigt habe ich den Täter nie. Habe auch nach dem 2. Mal noch 3 Tage gebraucht, bis ich die Wohnung wieder verlassen konnte, da ich so einen Hang-over hatte. Ich wußte auch außer seinem Vornamen und daß er bei einer sehr großen Versicherugnsgesellschaft arbeitete, nichts über ihn, keine Adresse, keine Telefonnummer, nichts. Fühlte mich außerdem schuldig, naja, das übliche, nehme ich an. Also bitte, keine Antworten wie "zeige ihn jetzt noch an" - das hilft mir nicht weiter.
Danke fürs Lesen! Ist wie zuhören, tut gut.