Es fing schon Anfang des Jahres an und ich habe nichts dagegen unternommen. Eine liebe Freundin die auch Überlebende ist und geschrieben hat, sagte "geh in eine Gruppe" aber ich wollte nicht hören.
Dann kam es ganz dicke. Meine Freundin wurde überfallen von zwei Kerlen und fast vor ihrer Haustür vergewaltigt. Sie ist schon traumatisiert worden als Kind. Meine Erinnerungen kamen wieder hoch dass mein Onkel mich als Kleine missbraucht hat. Im Internat meines Kindes kam es zur Androhung von Übergriffen und zu allem Überfluss baggerte mich auch noch ein Typ an auf der Arbeit und fasste mir an die Brüste, worauf ich mich übergeben musste.
Am nächsten Tag hab ich dem Kerl klar und deutlich gesagt, wenn er mich noch einmal anfasst, dass ich ihn wegen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz anzeige und mit ihm zum Büro zu einem unter sechs Augen Gespräch gehe. Seitdem haben wir alle vor diesem italienischen Macho unsere Ruhe, der einfach alle Mädels begrabschte auf der Arbeit und sich für unwiderstehlich hielt. Der war kuriert und hat sich erstmal eine ganze Woche krank gemeldet. Macht nichts. Ich wehre mich.
Das ist es ja. Ich war so stark. Ich habe haufenweise überlebt und gepackt, aber plötzlich kriege ich Panik und ich zittere, ich erbreche, kann kaum noch essen. Ich weine die ganze Zeit, zittere und bin fertig mit den Nerven.
Ich übergebe mich, habe Würgereize in der Kehle und schlafe nachts nicht mehr. Okay, ich hab einen viel zu dicken Chalcedon drauf gelegt, um mein Kehlkopfchakra zu reinigen und da ging das dann los mit der Kotzerei. Ich sehe Bilder vom Missbrauch von meinem Onkel an mir.
Nach 40 Jahren. Ich bin fertig, sage ich Euch.
Ich habe mich heute der Freundin anvertraut, die auch sex. missbraucht wurde und überfallen (zum Glück "nur" eine versuchte Vergewaltigung neulich und die Kerle wurden geschnappt).und sie macht sich nun Vorwürfe und sagte, sie hätte das wissen müssen, dass mich das fertig macht. Sie sagt, sie hätte mich damit nicht belasten müssen. Aber ich sehe sie doch immer auf der Arbeit und wofür sind gute Freunde denn da?
Ich bin immer so stark gewesen, aber jetzt bin ich verletzlich. Ich versuche, gegen die Panik anzuatmen, aber ich hatte vor 2 Wochen Suizidgedanken, mein Freund bekam auch schreckliche Angst. Seit Freitag nehme ich Psychopharmaka, das hilft mir ein bisschen, heute war ich in der psychosomatischen Tagesklinik an der Uni. Aber die haben keine offene Sprechstunde mehr.
Ich renne gegen die Panik an. Ich atme und hoffe, dass es vorbei geht. Das Schlimme ist - ich kotze auch auf der Arbeit und habe einfach schon viel abgenommen.
Und ich habe in 6 Wochen Deadline für mein Psychologiestudium. Ich habe schon so vielen anderen geholfen und jetzt? Kann ich mir selbst nicht helfen.
Beten hilft mir, einen Film schauen, etwas essen, mir einen Tee oder einen Kaffee kochen, aber ich sitze dann manchmal hier, ein dickes Kuschelkissen im Arm und fühle mich wie eine Zweijährige. So alt war ich damals - ich konnte es nicht benennen. Erst jetzt kann ich es. Es tut schrecklich weh.
Was könnt Ihr mir empfehlen? Wo könnte ich noch Hilfe finden? Es geht mir meistens gut und ich tu mir nichts an. Wenn ich allein zuhause bin und diese Gedanken drängen sich auf, denn lege ich mich flach auf den Boden und schreie "Ich gebe nie, nie, niemals auf. Ich packe das und bin stärker als Ihr!" Ich weiß, es hört sich irre an, aber ich meine damit die Geister und Schatten der Erinnerung, die mich dann fertigmachen.
Mein Leben ist wertvoll. Ich bin mir wertvoll. Und ich überlebe auch diesen Schub. Oder meint Ihr, ich soll doch lieber in die Psychiatrie gehen? Die meisten sagen, ich sehe grauenvoll aus.
LG Lichterspiele