Ich verstehe dich, ich habe das auch mitgemacht.
Mein Vater hat sich letztes Jahr im Mai mit Schlaftabletten das Leben genommen. Als ich ihn Nachts tot gefunden habe, ist eine Welt für mich zusammen gebrochen. Er hat weder mir noch meiner älteren Schwester einen Abschiedsbrief hinterlassen. Er hat mir nur einen Zettel hingelegt, auf dem stand ich soll das Geld von der Sterbekasse beantragen und den Versicherungsschein dazu gelegt.
Als wir dann später seine Wohnung durchgesehen haben, haben wir Unterlagen von Ärzten gefunden, denen wir dann entnommen haben, dass er schon seit Jahren an Depressionen gelitten hatte und schwer Schlaftabletten abhängig war. Ohne konnte er anscheinend nicht mehr schlafen. Seine Freundin, die nicht bei ihm wohnte, erzählte hinterher das es einige Monate vorher einen Zwischenfall gab, da hat er um 7 Uhr morgens bei ihr vor der Tür gestanden, total durcheinander, und dachte es wäre 7 Uhr abends. Er hatte ihr dann verboten meiner Schwester oder mir davon etwas zu sagen, und ich verstehe sogar das sie sich daran gehalten hat, denn ich kannte ja meinen Vater, der wäre total durchgedreht, wenn sie was gesagt hätte. Außerdem konnte ja keiner ahnen, das er sich das Leben nehmen wollte. Auch er hatte es gründlich geplant, hat sich einen Tag ausgesucht, an dem ihn auf keinen Fall jemand rechtzeitig findet. So hat er dann wohl irgendwann Montag morgens ganz früh die Schlaftabletten genommen, vermisst haben wir ihn erst einen Tag, Dienstags, später. Ich bin dann abends mit seiner Freundin zu seiner Wohnung, wir mussten die Tür von der Polizei aufmachen lassen und er lag tot im Bett.
Ich frag mich auch heute noch, warum er das getan hat, warum er sich nicht von uns hat helfen lassen, warum er nicht um Hilfe gebeten hat. Warum wir nichts von den Depressionen gemerkt haben, meine Mutter hat fast ihr ganzes Leben an Depressionen gelitten, wir haben immer bei ihr gemerkt wenns wieder los geht, aber bei unserem Vater haben wir es nicht gemerkt. Jetzt im nachhinein, macht so einiges einen Sinn, was sein Verhalten angeht. Aber er war schon immer ein schwieriger Mensch, der sich nicht gern in die Karte hat schauen lassen, der niemals zugegeben hätte Probleme zu haben. Schon gar nicht hätte er uns um Hilfe gebeten, er wollte nie das wir uns Sorgen machen.
Mir geht es mittlerweile einigermaßen gut, es gibt zwischen durch Tage, da könnte ich alles hinwerfen, aber die werden langsam weniger.
Ungefähr 5 Monate nach meinem Vater, lag plötzlich meine Mutter tot im Bett. Die Beiden waren schon eine Ewigkeit geschieden. Sie ist an einer nichtbehandelten Lungenentzündung gestorben. Sie dachte es wäre eine etwas stärkere Erkältung und ist nicht zum Arzt gegangen.
Auch sie litt bis zu ihrem Tod an Depressionen, Angstzuständen und allem was dazu gehört. Diese Krankheit hat ihre ganze Persönlichkeit verändert. Auch mein Vater war total verändert, aber bei ihm hab ich es auf seine Erkrankungen geschoben, dachte es würde daran liegen.
Ich war nach dem Tod meiner Mutter bei einer Trauerbewältigung, die wird von Psychologen aber auch von der AWO (Arbeiterwohlfahrt) angeboten. Es hat geholfen mit Außenstehenden zu sprechen, denn auch ich kam mir unverstanden vor.
Vielleicht solltest Du es auch mal damit probieren, denn niemand kann nachvollziehen was Du mitmachst, alle erzählen Dir "Du bist doch nicht Schuld, also geb dir die Schuld auch nicht". Leichter gesagt als getan, es ist einem sogar irgendwo klar, aber da sitzt son kleiner Mann irgendwo im Gehirn, der immer wieder das Wörtchen "wenn" von sich gibt. "Wenn Du mehr hingeschaut hättest, dann hättest Du seine Probleme gesehen, wenn Du nicht sosehr mit Dir selbst beschäftigt gewesen wärst hättest Du es gesehen, wenn, wenn, wenn......."
Mittlerweile ist mir klar, es war seine Entscheidung, er hat uns nicht gefragt, er hat es einfach gemacht und uns mit all unseren Fragen zurück gelassen, uns damit allein gelassen.
Aber trotz allem, ich liebe meinen Vater, anscheinend war es für ihn der einzige Ausweg den er noch gesehen hat. Das muß ich akzeptieren.
Und auch Du mußt das akzeptieren, es war die Entscheidung deiner Mutter. Auch wenn ihr Euch zwischen durch gestritten habt (hab ich mit meinen Eltern auch oft genug, und das ziemlich heftig) heißt das nicht, dass deine Mutter dich nicht geliebt hat. Denn oft streitet man sich gerade mit den Mensche am meißten, die man sehr liebt und die einen selber über alles lieben.
Ich glaube auch nicht, dass deine Mutter dich vergessen hat, weil sie dir keinen Brief geschrieben hat, oder das dies ein Zeichen dafür ist, das sie dich nicht geliebt hat. Ich verstehe das es dich verletzt, hat mich auch verletzt keine Nachricht von meinem Vater zu bekommen.
Aber anscheinend können wir nicht nachvollziehen, was in ihren Köpfen vorsich gegangen ist, warum sie so reagiert haben. Aber ich glaube nicht das es etwas mit fehlender Liebe zu tun hatte. Sie waren anscheinend so sehr mit sich und dem was sie zu tun geplant hatten beschäftigt, das klares denken nicht mehr wirklich möglich war.
Du sagtest deine Mutter litt an schweren Depressionen, und das die Ärzte ihr nicht helfen konnten. Das ist das grausame an dieser Krankheit, sie ist nicht fassbar, nicht greifbar und man kann sie nur schwer oder gar nicht verstehen. Die Menschen, die mit dieser Krankheit leben, die leben in ihrere eigenen Welt, manchmal kommen sie daraus hervor und scheinen ganz normal, und dann wieder drehen sie ohne erkenntlichen Grund durch. Ihre Krankheit ist der Grund für ihren Selbstmord, nicht irgend ein Streit mit dir, oder das du zu wenig Verständnis gezeigt hast.
Du kannst nichts dafür, nur diese Krankheit, die ihr das Leben zu schwer gemacht hat um weiter zu leben.
Sie hätte bestimmt nicht gewollt, dass du dir Vorwürfe machst. Und das du darunter leidest, das du keinen schriftlichen Abschied von ihr bekommen hast.
Suche Dir eine Trauerberatung in deiner Nähe, es hilft mit anderen Menschen zu sprechen.