ima_12670938Distanz
... ist nicht, nicht zu schreiben, sondern Deine Gedanken nicht davon beherrschen zu lassen.
Ob sie jetzt nur Aufmerksamkeit will, kann Dir hier keiner wirklich sagen. Bzw.: ja sie will Aufmerksamkeit, aber ob für ihre Person oder Bedürfnis nach Hilfe? Ziemlich wahrscheinlich beides. Aber das können wir nicht sagen, dazu wissen wir zu wenig über sie und ihre Situation.
Deine Therapeutin sollte das besser beurteilen können, sie weiß einfach mehr über Dich und aus Deinen Erzählungen auch über sie.
Wenn Du gerade befürchtest, dass sie sich wirklich das Leben nehmen könnte, wenn Du jetzt nichts tust, halte ich es auch für eine gute Idee, die Telefonseelsorge anzurufen. Die Leute dort sind dafür ausgebildet, solche Situationen einschätzen und Dir raten zu können.
Das was Du da beschreibst, ist ein Verhaltensmuster, dass man so schön "fishing for compliments" (manchmal als Kurzform auch nur "fishing for") nennt.
Manchmal steht man vor jemand anderen und meint "auch ich seh heute echt sch*** aus" in der Hoffnung, dass der dann antwortet "Ach, das stimmt gar nicht, Du siehst hinreißend aus!" oder wenn man die erhoffte Bestätigung "von alleine" nicht erhält, fragt man jemanden "Seh' ich gut aus?" um dessen Aufmerksamkeit darauf zu lenken, und sich das entsprechende Kompliment eben zu fangen, wenn's schon nicht allein vor der Tür steht - man fischt eben danach.
Du findest das auch in einigen allgemeinen Höflichkeitsregeln wieder: Sagen wir, ein Freund von Dir will feiert eine große Party, Du bist eingeladen, bevor Du am nächsten Tag nach Hause fährst (mal gesetzt den Fall, Du darfst das schon) - würdest Du fragen, ob Du mit beim Aufräumen helfen kannst, richtig? Wenn derjenige ablehnt, würdest Du dennoch antworten, dass es für Dich kein großer Akt wäre und es ja schneller geht, wenn mehr mit anfassen und es noch mal anbieten, richtig? Das gibt demjenigen mehr oder minder unbewusst das Gefühl, dass er nicht betteln geht, wenn er Hilfe annimmt, dass Du es auch ernst meinst und nicht nur "pro forma" gefragt hast, dass er Dir wichtig ist und Du ihm deswegen wirklich helfen möchtest usw. - In der Kommunikationswissenschaft nennt man das "Meta-Botschaften" - sie werden nicht direkt ausgesprochen, sie werden in weiten Teilen unbewusst gesendet, unbewusst verstanden oder erwartet - aber sie sind unglaublich wichtig, dafür, wie man sich einer Person gegenüber fühlt.
Nun macht Deine Freundin das mit ziemlicher Sicherheit nicht bewusst, aber sie fischt nach diesem "zeig mir, dass es Dir wirklich wichtig ist, zeig mir, dass es ein wirklich ernstes Problem ist, zeig mir, dass Du mir unbedingt helfen willst, indem Du Dich nicht einfach "abwimmeln" lässt sondern "dran bleibst"! " Daher diese keines Wegs zufällige oder unlogische Diskrepanz zwischen gesprochenem Wort und Handlung.
Darin liegt aber auch eine Gefahr. Für Dich sowieso, für sie aber auch. So eine Bestätigung kann auch ein bißchen zur Droge werden, zumal, wenn man das selbst nicht so recht mitkriegt - und das wird sie nicht.
Es ist ja eigentlich ein "gutes Gefühl" - mir geht es schlecht, aber es ist jemand da, der an meine Seite flitzt und alles für mich tut. Etwas, dass mir das Gefühl gibt, dass ich nicht nur "weinerlich" bin, sondern dass es wirklich "wichtig" ist und "bedeutend". Okay. So weit so gut, so weit so hilfreich. Nun nutzen sich bei uns Menschlein solche Gefühle ziemlich schnell ab. Was ist die Folge? Man will MEHR, also kann man sich dieses schöne Gefühl wieder "ziehen".
Nun nutzt sich das bei anderen aber auch ab. Wenn man 5x wegen so etwas alles fallen ließ und losgeflitzt ist, kühlt das sich auch mal ab. Folglich? Es geht demjenigen schlechter, damit (Pardon) "die Dramatik wieder aufgefüllt wird". Wenn da nicht irgendwer mal die Bremse zieht oder sie auf andere Mechanismen ausweicht, sich gut zu fühlen, wird das schlimmer, nicht besser.
Egoistisch, wie hier oft geschrieben, finde ich das bestenfalls dann, wenn das jemand bewusst macht, also wenn klar ist, dass man die ganze Nummer veranstaltet, nur um sich von anderen Menschen, dieses schöne Gefühl zu ziehen. Ich denke, das ist bei Deiner Freundin nicht der Fall. Sie macht das fishing vermutlich nur wenig bewusst, dass Dramatik auffüllen wahrscheinlich gar nicht.
Aber da kannst Du nicht eingreifen. Durch so etwas durchzukommen, ist für ausgebildete Psychologen eine Herausforderung, für Dich - Sorry - nicht möglich. Auch aus diesem Grunde, ist es besser, wenn Du das zumindest nicht weiter fütterst.
Sage ihr, dass sie nicht "nur" sich, sondern auch die Menschen in ihrer Umgebung zerstört und ihre Freundschaften zerstört damit und geh auf Distanz. Emotional, nicht in der Anzahl der Zeichen der tgl. Nachrichten.
Noch mal: wenn sie Hilfe braucht - die kann sie überall haben. Was auch immer geschieht, glaubst Du wirklich, Du könntest - rein theoretisch - mehr tun als alle anderen? Was denn bitte?
Nein, kannst Du nicht. Bestätigung kann sie sich von jedem holen, das braucht Dich nicht. Tatsächliche Hilfe auch.
Aber mal um den Spieß umzudrehen - was willst Du von ihr? Warum willst Du denn unbedingt die Welt retten? Ist es wirklich "ein schlechtes Gewissen" oder fühlt es sich nur so an und hat einen anderen Hintergrund? Mal ganz gemein und ketzerisch... in Deinen Tagträumen, wie geht die Geschichte aus? Du kannst ihr helfen - Du kannst das tun, was sonst keiner konnte und Dank Deiner Hilfe wird alles gut, sie findet zu einem glücklichen Leben, was sie nur Dir zu verdanken hat und Du hast allen bewiesen was Du kannst, erntest Bewunderung und Dankbarkeit?
Ja, das ist bewusst überzogen, ich weiß. Du sollst auch nicht antworten darauf, das ist nur ein Denkanstoß.
Ist es schlechtes Gewissen oder versuchst Du gerade, Dich selbst, über Deine Heldentaten für andere zu definieren? Versuchst Du gerade, Dich darüber zu definieren, was Du in anderer Leute Augen für ein "guter" und "vorbildlicher" Mensch bist? Das ist ein gefährlicher Weg, falls Du ihn gerade gehst, musst Du umkehren.