vered_12738999Im Januar 2014 haben wir eine Pflegestufe beantragt. Mit Widerspruchsverfahren wurde dann Pflegestufe 2 zuerkannt. Die Pflege habe ich ab Juli 2014 komplett vom Pflegedienst übernommen. Meine Mutter ist im Dezember 2013 gestürzt und hatte sich die rechte Schulter gebrochen. Ab da ging es nicht mehr. Im Februar 2014 habe ich meine Mutter zur Kardiologin begleitet. Diese sagte, dass sie nicht mehr damit gerechnet habe meine Mutter noch einmal zu sehen. Meine Mutter hätte einen Herzschrittmacher gebraucht, sie hat schon aus Angst vor der Anästhesie dies immer abgelehnt und auf Grund diverser Operationen zuvor (Darm 1998, Oberschenkelhalsbruch 2005), dabei war die OP am Darm die schwierigste, weil das Problem erst auf dem OP-Tisch erkannt wurde. Meine Mutter litt u. a. an einer Herzinsuffizienz mit Linksschenkelblock, daher rührte ihre schnelle Erschöpfung. Ich fiel wegen der Äußerung der Kardiologin aus allen Wolken, davon ahnte ich ja nichts, weil meine Mutter das nie gesagt hat. Oft musste ich dann daran denken was wäre, wenn ihr etwas zustößt. Dann breche ich zusammen, dachte ich bei mir. Manchmal, wenn ich morgens aufgestanden bin und es bei meiner Mutter verdächtig still war, bekam ich Angst. Bis ich diese völlig verdrängt habe um normal und ungezwungen mit meiner Mutter umgehen zu können.
Wie gesagt, ich habe meine Mutter gepflegt und war Stolz, dass sich ihr klinischer Zustand ein Jahr später nicht verschlechtert hatte.
Neben der Pflege habe ich den gesamten Haushalt gemacht und die ganze Verwaltung die sich i. Zsh. mit der Pflege ergibt.
Ab Mitte Juni 2016 bekam sie eine Sauerstofftherapie verordnet, weil der Blutsauerstoff zu gering war. Ich konnte meine Mutter auch nicht mehr bewegen vor die Tür zu gehen. Um ein bischen ihre Mobilität zu erhalten gingen wir ins Treppenhaus, damit sie wenigstens ein oder zwei Treppen ging. Ich forderte über die Hausärztin ein Scalamobil (wird am Rollstuhl arretiert) bei der Krankenkasse an und stellte den Antrag auf Pflegestufe 3.
Die Kardiologin stellte, ebenfalls im Juni, eine globale Herzinsuffizienz fest, der klinische Zustand hatte sich deutlich verschlechtert.
Mit dem Sauerstoff schwollen zunächst ihre Beine wieder deutlich ab. Ich war glücklich.
Meine Mutter sprach Anfang August davon, dass sie nach dem Hinlegen Schmerzen in der Brust habe. Ich schrieb das auf war aber mit anderen Dingen beschäftigt, dass ich die Brisanz dieser Mitteilung nicht erkannte. Einige Zeit später schwollen die Beine wieder an. Meine Mutter hatte Angst vor einer OP, Angst vor dem Krankenhaus, ja sogar Angst vor Arztbesuchen. Alles was ich wollte war meine Mutter beschützen und ihr unnötige Strapazen zu ersparen.
Am 26.08.2016 klappte sie förmlich in sich zusammen und war und kurz bewußtlos, ich rief den Notarzt. Da es Ende August so warm war, dachte der Sanitäter zuerst an Dehydrierung. Meine Mutter wurde ins Krankenhaus gebracht und ich nahm die letzten Arztberichte und packte die nötigsten Sachen und folgte keine Stunde später. Ich dachte an nichts Böses. Auf der Intensivstation teilte mir ein Pfleger mit, dass meine Mutter bei der Einlieferung reanimiert wurde, dies auch nur, weil sie als Notfall eingeliefert wurde. Man wollte von mir nur wissen, ob, wenn es zum Atemstillstand kommt, man wieder reanimieren soll. Ein Kardiologe kam hinzu und erklärte mir auch noch einmal den Sachverhalt. Da sie ansonsten an Maschinen angeschlossen würde, sagte ich, dass sie sie nicht reanimieren sollen, es hätte ohnehin nur das Unvermeidliche hinausgezögert. Meine Mutter hatte nur noch schwachen Puls und selbst im Krankenhaus konnte man dies nicht mehr stabilisieren. Nach 12 Stunden konnte ich nicht mehr, es war nach drei Uhr morgens. Meine Mutter hatte zwischendurch Anfälle, ich konnte einfach nicht mehr und ging nach Hause. Kurz vor vier Uhr am Morgen des 27.08.2016 ist sie verstorben. Unsere gemeinsame kleine, heile Welt liegt seitdem in Trümmern. Die Schwäche die sie in den Tagen zuvor schon gezeigt hatte, stand damit wohl in Zusammenhang, ich dachte, dass das an der Wärme liegt und wollte meine Mutter schonen.
Meine Mutter ist meine Heldin. Sie wurde im April 89 Jahre. Sie war bei klarem Verstand und auch Freundin und Ratgeberin. Nie hätte ich gedacht, dass ich schon dieses Jahr zu Weihnachten alleine sein würde. Ich beginne nächste Woche eine Therapie. Z. Zt. bin ich regelmäßig beim Hausarzt und versuche auch über die Caritas am Ort einen Weg für mich zu finden. Ich habe das Bild im Kopf, dass meine Mutter rechtzeitig ins Krankenhaus gekommen wäre, den Herzschrittmacher bekommen hätte, nach der OP die Augen öffnet und zu mir sagt: "Du passt auf mich auf". Wir waren uns so nah und ich hatte längst ihre Ängste verinnerlicht.
Mein Vater starb mit 66 Jahren am 25.12.1990 an Prostatakrebs. Er nahm mir, als er wusste das er sterben würde das Versprechen ab mich um meine Mutter zu kümmern. Ich habe dies fast 26 Jahre, mit steigender Intensität, getan und mein Versprechen meinem Vater gegenüber gehalten, ich wünschte aber, dass ich damit eben noch nicht am Ende wäre.
Ich sehne mich nach meiner Mutter. Auch ich hole fast jede Woche frische Rosen fürs Wohnzimmer, dort hat sie sich die meiste Zeit aufgehalten. Ich rede mit ihr in der Stille.