kaylin_12776411Hoffnung...
ja natürlich hat sie Hoffnung. Das ist mir schon klar.
Aber sollte der Sohn da je heraus kommen, steht all das zwischen ihnen, was sie da schreibt. Alles liegt (zu Recht natürlich) auf seinem Gewissen. Zu einer Zeit, wo er, ständig am Rande seiner Kräfte darum kämpfen muss, sich Problemen zu stellen, statt weiter davor zu fliehen, steht er vor dieser Wand. Die ersten Jahre nach dem Entzug sind bei Abhängigkeit kritischer als der Entzug selbst. Clean zu werden ist sehr viel weniger ein Problem, als es auch zu bleiben.
Ich weiss nicht, ob Du Dir vorstellen kannst, wie es ist, in einer Zeit, wo alles, was in "guten Zeiten" eine hochgezogene Augenbraue wert war, Dir den Boden unter den Füssen hoffnungslos wegziehen kann, solchen Vorwürfen (auch sie niemand ausspricht) gegenüber zu stehen. Was nicht schwer ist, *obwohl* sie berechtigt sind, sondern *weil* sie es sind. Mit dem ständigen Wissen, man muss nur ein Glas ansetzen, sich irgendwas in den Mund schieben oder irgend etwas kleines tun - und schon ist alles vergessen. Man fühlt sich wieder gut, statt schuldig, verloren und voller Ängste und Vorwürfe. Nun klar, man hat aufgehört, weil das nicht so sonderlich schlau ist. Aber es ist soooooooooo leicht und kämpfen und sich dem stellen ist sooooooo schwer - schwerer als man sich stark fühlt. Dass man etwas tun muss, heisst leider nicht automatisch, dass man das auch kann.
(ja, ich habe die Seite der Mutter weggelassen, das ist nur ein Aspekt von vielen, ist mir bewusst)
Zu diesem Zeitpunkt hatte ich mir vorzuwerfen, dass ich den Kontakt abgebrochen hatte und dass sie sich natürlich Sorgen um mich gemacht hat und dass das alles andere als schön für sie war. Aber nicht noch *zusätzlich*, dass ich meine Mutter bestohlen habe, nicht ... die ganze lange Liste. Ohne Kontaktabbruch wäre es, wie bei so ziemlich jedem anderen auch in dieser Situation, wohl da gelandet. Ich weiss nicht, ob Du Dir vorstellen kannst, *wie* froh ich bis heute darüber bin.
Was die positive Seite betrifft - ich bin ziemlich mies darin, Hilfe anzunehmen - ich muss es bewusst tun und teilweise ziemlich gewaltsam (meint mir gegenüber gewaltsam, ich muss dazu einige Mauern einreissen - und zwar jedes Mal neu - die ganz schön solide sind) und das Verhältnis zu meiner Mutter ist jetzt auch nicht direkt das best-mögliche, daher taugt meine eigene Erfahrung da nicht zur Referenz.
Aber Hilfe ist bei Abhängigkeit erst in dem Moment überhaupt *möglich*, wo man selbst auch aufhören *will*. Will, nicht glaubt zu wollen. In allen anderen Fällen kommt die hilfewillige Person noch nicht einmal durch die Wahrnehmungsfilter.
Dazu kommt, dass Hilfe an so einer Stelle mit persönlicher Distanz, also als Aussen-stehender, i.d.R. leichter und effektiver möglich ist, als als jemand, der selbst involviert ist.
Das dritte ist: alles was andere überhaupt helfen können zusammen genommen, kommt nicht mal auf 5% dessen, was zu tun ist. Sein Leben muss und kann man nur selbst ändern. Die eigene Art, mit etwas umzugehen, muss und kann man nur selbst ändern. Die eigenen Gefühle, Ängste, Sehnsüchte, Hoffnungen kann man nur selbst wieder neu ausrichten. Was können andere da tun? Mal auf die Schulter klopfen und mal Händchen halten. - vielleicht ist es das Zünglein an der Waage? Kann schon sein. Aber es ist (siehe oben beispielsweise) auch immer ein Konfliktträger, nicht *nur* Hilfe, was daraus entsteht. Es ist eine ziemliche Gratwanderung. Zu viel Hilfe kann auch gefährlich sein.
Und der letzte Punkt ist: Wir sind in unserer Gesellschaft so darauf dressiert, jemanden "nicht im Stich zu lassen", der krank ist oder sonst irgendwie leidet, dass zu viele vergessen, mal realistisch darüber nachzudenken, ob sie den Preis des "nicht im Stich lassens" für sich selbst auch zahlen wollen - und können.
Es ist so, dass man, wenn man eine Therapie macht, in vielen Fällen die erste Zeit von der Aussenwelt - und damit gerade von Personen in der eigenen Umgebung - isoliert ist. Das hat so seine Gründe...