Hallo Leute! Ich arbeite zurzeit in der Firma meines Vaters, in der auch mein Bruder als zweiter Geschäftsführer tätig ist. Ich arbeite nun seit fast einem Jahr dort. Meine Freunde haben mir alle davon abgeraten. Die meisten dieser Freunde habe ich in der Klinik kennengelernt, bei der ich wegen psychischer Probleme, nach einem Nervenzusammenbruch eingewiesen wurde. Dieser Zusammenbruch passierte überwiegend wegen meinem Vater. Er machte meine Kindheit zur Hölle und nun habe ich das Gefühl, dass er den Rest meines Lebens auch ruiniert, wenn ich nicht etwas unternehme.
Ich bin verheiratet und mein Mann arbeitet nun auch bei meinem Vater in der Firma. Bei dem heutigen Arbeitsmarkt ist es halt einfach und bequem, da man nicht suchen muss. Und gerade mein Mann hätte es schwer, eine Arbeit zu finden, da er gerade aus der Türkei hier eingewandert ist. Ab diesem Monat arbeitet er. Davor war ich Alleinverdiener.
Ich bin wegen meinem Vater schonwieder kurz vor dem Nervenzusammenbruch und denke darüber nach, dort aufzuhören und meinen Mann für eine Weile das Geld verdienen zu lassen. Um mich vor meinem Bruder, der ja dann zu seiner eigenen auch meine Arbeit erledigen müsste, zu rechtfertigen, habe ich ihm einen Brief geschrieben. Er ist ziemlich lang geworden, aber ich würde es sehr schätzen, wenn einige von euch sich die Mühe machen würden, ihn zu lesen, damit ich weiß ob ich ihn so abgeben kann oder nicht.
Lieber Andi
Ich möchte demnächst hier aufhören. Ich kann hier nicht mehr länger auf diese Weise arbeiten. Dass er ständig um mich herum ist und alles kommentiert egal, ob ich gerade etwas zu tun habe, wobei er mich stören könnte halte ich nicht mehr aus. Mittlerweile werde ich schon aggressiv, wenn ich seine Stimme höre, selbst wenn sie ganz weit weg ist.
Vielleicht liegt es ja auch daran, dass ich die Vergangenheit noch nicht überwunden habe, vielleicht komme ich aber auch nicht damit klar, dass Arbeit und Privates so miteinander verschmolzen sind. Ich kann ihn nicht als Chef akzeptieren, solange ich ihn nicht als Vater akzeptiere. Ich kann mir nichts von ihm vorschreiben lassen, weil ich noch genau weiß, wie viel er mir vorgeschrieben hat, als ich noch ein hilfloses Kind war. Heute habe ich immer das Gefühl, mich wehren zu müssen, weil ich das damals nicht konnte. Dabei kann ich nicht unterscheiden, ob er mir gerade Arbeitsanweisungen gibt, oder sich in mein Leben einmischt. Ich habe versucht, mit ihm als Chef und als Vater klarzukommen, aber es funktioniert nicht. Er stellt für mich immer noch eine Bedrohung dar, gegen die ich das Gefühl habe, mich mit aller Kraft wehren zu müssen. Deshalb reagiere ich auch immer so heftig auf alles, was er mir sagt oder mich fragt. Wenn ich Schritte von draußen höre, die näher kommen, spannt sich bei mir schon alles an, weil er es sein könnte, der mich schonwieder nerven will. Er kommt nicht oft runter, um mir was wegen der Arbeit zu sagen. Meistens einfach nur weil er Langeweile hat und Gefallen daran findet mich zu belästigen.
Das schlimme ist, dass jeder, der weiß, wo und wie ich arbeite, denkt, dass ich die tollste Stelle habe, die man sich wünschen kann. Ich bin auf Arbeit und gleichzeitig zu Hause. Ich kann hier eigentlich machen was ich will. Ich kann hochgehen und mir was zu essen machen, fernsehen oder mich einfach zu Hause fühlen, wenn gerade keine Arbeit da ist. Es werden Sprüche abgelassen, die mich als faulen Menschen hinstellen, der gar nicht weiß, was richtige Arbeit ist. Ich gebe zu, dass ich diese Vorteile habe. Dass ich auch mal rausgehen kann, wenn ich einen Termin habe, dass ich auch mal eine Stunde später kommen kann, ohne dass ich eine Abmahnung bekomme. Aber ehrlich gesagt würde ich all diese Dinge lieber für eine richtige Arbeit eintauschen. Bei der mich kein Vater ständig mit Liebesgrüßen nervt, obwohl er genau weiß, dass ich diese nicht erwidere. Ich hätte viel lieber eine Stelle, bei der ich meine 8,5 Stunden mit einer halben Stunde Pause habe. Bei der ich ein neutrales Verhältnis zu meinem Vorgesetzten habe und dieser auch zu mir. Bei der ich arbeiten kann, wenn auch mit Überstunden, aber trotzdem weiß, wann ich zu Hause bin und wann auf Arbeit. Und bei der man mir dann auch nicht vorwerfen kann, dass ich den ganzen Tag nur spiele oder andere Dinge tue, außer arbeiten. Und auch wenn ich hier vielleicht ein ganz entspanntes Arbeiten habe, bin ich hier nach der Arbeit noch viel ausgelaugter, als ich es damals war, als ich im Steuerbüro ständig Überstunden gemacht habe, teilweise sogar Nächte durchgearbeitet habe. Ich finde es viel anstrengender als die härteste Arbeit, die es gibt, wenn man wartet, dass die Zeit endlich vergeht. Und dabei immer mit der Angst da sitzt, dass wieder jemand kommt und mich nervt. Nicht mit Arbeit, sondern einfach nur so. Mir fällt es schwer, zu arbeiten und gleichzeitig zu Hause zu sein. Ich brauche da eine strikte Trennung. Vielleicht wäre es leichter, wenn die Familienverhältnisse normal und nicht wie unsere wären.
Wenn ich in dem Haus arbeite, in dem meine Eltern und meine Tante wohnen, ist die Versuchung sehr groß, dass man zum Frühstück hochgeht und dann dabei die Zeit vergisst. Oder wenn keine Arbeit da ist. Das Paradoxe daran ist, dass er möchte, dass ich zum Frühstück komme und dann aber wieder Sprüche ablässt, dass ich ja hier nicht fürs frühstücken bezahlt werde.
Er hat sich nicht geändert. Wenn er etwas will, dann holt er es sich immer noch, wenn nötig mit Gewalt. Es bleibt nicht bei einem Guten Morgen, wenn ich morgens reinkomme. Er muss mich immer an sich drücken, obwohl ich das nicht will. Und es dauert ewig, bis er endlich von mir lässt. Und wenn er runterkommt, um mir etwas zu bringen (Briefe, etc.) bleibt es auch nicht dabei, dass er sie mir auf den Tisch legt und geht. Er muss sich immer irgendwie mit mir beschäftigen, Fragen stellen, ob ich ihn liebe, oder er meine Augen küssen kann etc. Das alles hört sich ganz lustig an, aber wenn man gerade beschäftigt ist, stresst das extrem. Er gibt sich ja dann auch nicht mit einer Antwort zufrieden. Wenn man Ja oder Nein sagt, fragt er noch Warum? Und das geht dann immer so weiter, bis ich dann schon kurz vorm Platzen bin. Und so kann ich mich nicht auf die Arbeit konzentrieren.
Es ist schon so weit, dass ich morgens gar nicht mehr aufstehen will, weil ich weiß, dass ich ihn schon wieder sehen muss und all das über mich ergehen lassen muss. Hinzu kommen seine Demütigungen. Wenn er schlecht gelaunt ist und man das falsche Wort sagt, vergisst er sich und weiß nicht was er redet. Und er vergisst dann auch, ob jemand anwesend ist, dem das vielleicht nichts angeht. Solche Sachen würden jeden treffen. Aber jeder würde irgendwie darüber hinwegsehen, weil es immer noch der Typ ist, der einen bezahlt. Aber ich kann nicht mehr darüber hinwegsehen, weil er zusätzlich noch mein Vater ist, der mich jahrelang auf diese Weise behandelt hat. Deshalb verkrafte ich das nicht so leicht wie ein normaler Mensch. Ich habe ihn noch nie als Vater akzeptiert und ihm gegenüber auch noch nie so etwas wie Liebe empfunden.
Bevor ich hier anfing, hatte ich es mithilfe der Therapie geschafft, zumindest Gleichgültigkeit für ihn zu empfinden und den Hass, der mich schon fast aufgefressen hat, zu überwinden. Aber seitdem ich hier arbeite und ihn wieder jeden Tag sehe, hat sich nach und nach dieser Hass zurückgebildet. Wenn du mir Anweisungen gibst, mache ich die Arbeit gerne, aber ich habe ein großes Problem mit seinen Anweisungen. Da siehst du, dass es nicht die Arbeit ist, mit der ich ein Problem habe. Wenn viel Arbeit da ist, mache ich auch gerne Überstunden, wenn du sagst, dass das und das noch gemacht werden muss. Aber ich kann es nicht mehr mit ihm zusammen. Du weißt, wie er ist und ich kann es nicht so locker nehmen wie du.
Ich wünschte, es gäbe eine Möglichkeit, mit dir zu arbeiten, ohne nicht gleichzeitig ihn am Hals zu haben. Oder zumindest nicht immer um mich. Aber man kann sich leider Kollegen, und den Chef sowieso, nicht aussuchen. Ich hatte immer schon vor, den privaten Kontakt mit ihm abzubrechen, weil ich ihn nicht mehr ertrage. Aber dazu muss ich mich auch von ihm als Chef trennen. Ich war eigentlich auch dagegen, dass mein Mann nun auch hier angefangen hat. So besteht selbst wenn ich hier aufhöre noch eine Verbindung.
Ich brauche auf jeden Fall eine Pause von ihm. Vielleicht bleibe ich mal 2 Monate zu Hause und lasse meinen Mann mal die Arbeit machen, wie es ja die ganze Zeit umgekehrt war. Wenn es sich dann irgendwie machen lässt, dass ich nicht in dem Haus, sondern woanders mein Büro haben kann, kann ich vielleicht wieder anfangen.
Wenn du dich erinnerst, hatten wir damals bei mir zu Hause schonmal dieses Gespräch. Da hatte ich ein bisschen zu viel getrunken, um mich vor dir öffnen zu können, und ich hab geweint. Danach hab ich es nochmal versucht. Nun muss ich wirklich aufgeben. Ich bin schon ständig müde, auch am Wochenende. Sonntag habe ich den ganzen Tag nur geschlafen und war dann trotzdem noch müde. Zu Hause kann ich kaum noch die Kraft aufbringen, den Haushalt zu machen. Ich schäme mich dann richtig vor meinem Mann, der ja harte, körperliche Arbeit hinter sich hat, dem ich dann erzähle, wie erschöpft ich bin. Aber es wurde mir gesagt, dass selbst obwohl ich mich kaum bewege und meine Arbeit rein praktisch gesehen überhaupt nicht stressig ist die psychische Belastung nun auch auf den Körper übergegangen sein kann. Ich hatte so schön abgenommen. Jetzt hab ich alles und vielleicht noch mehr wieder zugenommen. Nur weil ich aus Frust so viel gegessen habe und auch jetzt auf nichts verzichten kann. Das alles hat damit zu tun, dass ich mit der Gesamtsituation unglücklich bin.
Trotz allem werde ich da sein, wenn du mich brauchst - Nur nicht mehr bei ihm.
Vielen Dank im Voraus fürs Lesen :)
Lg Nadine