Hallo,
Ich lese dieses Forum schon ein paar Jahre, wobei ich oft Antworten auf Fragen fand, die auch ich mir gestellt hatte. Nun habe ich mich entschlossen, auch endlich mal etwas zu schreiben, weil ich hoffe, einen Rat zu meiner Situation zu finden.
Es ist so, dass ich ein Erziehungsproblem habe, dass sich sehr stark auf meine Beziehung auswirkt.
Meine Eltern haben uns sehr locker erzogen, so dass ich bei fast allem selbst entscheiden durfte, was ich mache. Gleichzeitig fragten sie aber auch sehr wenig nach, was ich eigentlich mache, und sagten auch meist nichts, wenn ich etwas richtig Blödes gemacht hatte. Überhaupt war es immer so, dass in unserer Familie nie ernst über Probleme geredet wurde.
Ich muss auch dazu sagen, dass meine Eltern durch die Arbeit sowieso sehr wenig Zeit hatten, und dass sie bestimmt glaubten, dass ich schon früher oder später automatisch auf den richtigen Weg kommen werde, wenn sie mir die Freiheit dazu lassen.
So kam es aber leider nicht; ich zog ziemlich früh bei meinen Eltern aus und in eine Großstadt. Zu meiner Familie hatte ich seither nur noch wenig Kontakt, und wenn wir uns sahen oder telefonierten, dann kommunizierten wir eigentlich nur über Witze und Smalltalk.
Ich hatte dann jahrelang nur noch Kontakt zu einem Bekanntenkreis, in dem man sich gegenseitig ständig anlog und ausnutzte. Das waren auch alles Leute, die früh den Kontakt zu ihren Familien auf ein Minimum reduziert hatten und dadurch so eine Art Ersatzfamilie füreinander bildeten.
Man kann wohl sagen, dass ich dadurch erzieherisch auf der Pubertätsebene hängengeblieben bin. Ich kann so gut wie gar nicht mit Kritik umgehen, lüge viel (auch gegenüber mir selbst), bin grundlos schlecht gelaunt und habe allgemein Probleme, mit Menschen nähere Beziehungen zu pflegen. Damit kam ich jahrelang mehr oder minder zurecht, weil ich eben nur mit Leuten zu tun hatte, die genauso waren, und ansonsten mein eigenes Ding machte. Wenn ich allerdings mal mit normalen Menschen zu tun hatte, hielten die es nie lang mit mir aus.
Nun bin ich aber seit mehreren Jahren in einer Beziehung. Meine Freundin ist auch innerlich sehr unsicher, geht damit aber ganz anders um und ist sehr ehrgeizig dabei, einen Umgang mit ihren Problemen zu finden, was auch daran liegt, dass sie "strenger" erzogen wurde und ein viel engeres Verhältnis zu ihrer Familie hat.
Eigentlich könnte es alles super sein zwischen uns, aber es fällt mir schwer, von meinen antrainierten Verhaltensweisen (bin nun schon knapp 30 Jahre alt) abzukommen, und das macht das Zusammenleben mit mir echt zur Qual für sie und führt ständig zu Streit. Als Reaktion hatte sie zeitweise so eine Art Erzieherfunktion übernommen, indem sie mir versuchte beizubringen, wie man sich motiviert, wie man miteinander umgeht, wie man mit Kritik umgeht usw. Das belastete unsere Beziehung aber zu sehr (statt der normalen Rollen als Beziehungspartner waren wir nun in den Rollen von Erzieherin und zu Erziehendem).
Ich frage mich nun, wie ich das machen kann, dass ich diese Erziehung sozusagen nachhole? Ich muss echt ein normales Sozialverhalten lernen, denn ich will unbedingt, dass es uns beiden gut geht, und ich will, dass meine Freundin einfach meine Freundin ist und nicht meine Ersatzeltern. Kann mir vielleicht jemand einen Rat geben, wie man diese Fähigkeiten, die man ja normalerweise bis Anfang 20 gelernt hat - Umgang mit Kritik, Umgang mit Menschen, Selbstvertrauen, Wahrhaftigkeit - nachholen kann, wenn man schon ewig anders gelebt hat? Ich könnte meine Frage auch umformulieren: Was kann man machen, um sich im Erwachsenenalter persönlich weiter zu entwickeln?
Oje, das ist jetzt ganz schön lang geworden. Ich hoffe, jemand macht sich die Mühe, alles durchzulesen, und würde mich auf jeden Fall sehr über jede Art von Antwort freuen. :)