Erfahrungen
Hi bienli, das, was dein Freund gerade durchmacht, ist mir nur allzu gut bekannt. Als ich 15 war, habe ich an einer schweren Depersonalisation und Derealisation gelitten. Ich habe mich wie im Film gefühlt, wie unter einer Glasglocke abgeschnitten von allem und jedem um mich herum. Die Menschen um mich herum und ich selbst kamen mir völlig unreal vor, als wäre alles nur ein Traum. Das Schlimmste daran war, dass ich die Verbindung zu mir selbst immer mehr verlor. Ich konnte nicht mehr in den Spiegel sehen, weil ich Angst vor der Frau hatte, die mir da entgegenblickte. Das war nicht ich, das war ein fremdes Wesen, das mich beherrschte. Ich hatte Angst vor "ihr", wo immer ich auch war und was ich tat. Ich fühlte mich von ihr beobachtet. Und manchmal, wenn ich nachts in den Spiegel blickte, kam es mir vor, als veränderte sich mein Gesicht darin.
Der einzige positive Aspekt für mich war damals diese unglaubliche Sinnesschärfe. Mein Sehsinn verbesserte sich so stark, dass ich auf einem weiten Land mit vielen Bäumen aus meterweiter Entfernung jedes einzelne Blatt eines Baumes scharf erkennen konnte, ohne dass irgendetwas sonst verschwommen war. Das war ein überwältigendes Erlebnis, das mal stärker mal schwächer war. Allerdings war auch mein Gehör verstärkt, was alle Geräusche um mich herum unerträglich laut machte, sodass es mich geradewegs in den Wahnsinn trieb.
Noch dazu hörte ich nachts einmal das Klavier spielen und litt unter starker Paranoia. Ich wollte mich von niemandem mehr anfassen lassen. Auch nur die winzigste Berührung in der Öffentlichkeit, die Umarmung meiner Mutter bedeutete die Hölle für mich.
Meine Mutter schickte mich dann zu einem Psychologen, als ich mich ihr offenbahrte. Dieser aber meinte, ich könne unter keiner Depersonalisierung leiden, da ich noch nicht volljährig wäre. Das nahm mir den letzten Rest. Sie nahmen an, ich litt unter einer Angststörung, was aber eher unwahrscheinlich war, da ich zwar paranoid, aber eher aggressiv als ängstlich war.
Letztendlich rettete mich vor der Psychiatrie, in die meine Mutter bereits bereit war, mich zu schicken, die Liebe zu einem Jungen, der mich verstand und mir zusprach. Er nahm mir den Glauben, dass ich allein auf der Welt war und war der einzige, der mich zu diesem Zeitpunkt berühren durfte. Er verurteilte mich nicht wie meine Mutter es damals tat. Ich konnte ihm alles erzählen und er hörte zu, nahm mich in den Arm und sagte mir, alles würde gut werden, ich sei nicht verrückt und dass er mich liebt.
Heute kehrt dieses Entfremdungsgefühl zwar dann und wann wieder, mal stärker, mal schwächer, aber ich kann es bereits besser beiseite schieben und finde nach ein, zwei Tagen oder ein paar Stunden auch wieder zu mir selbst zurück.
Wenn du deinem Freund helfen willst, sei einfach für ihn da. Ich denke, das, was man in so einem Zustand am meisten braucht, ist Nähe und Menschlichkeit von der Person, die einem am meisten bedeutet. Ich hoffe, ihr findet einen Weg.
Liebe Grüße und viel Glück,
Babsi